Warum
Prozessmanagement-Organisationen wichtiger sind als Tools – ein
Erfahrungsbericht
Vor einigen Jahren sah sich ein Automobilhersteller mit einer
großen Herausforderung konfrontiert: Die Software- und
Systementwicklung sollte wieder vollständig im eigenen Haus
erfolgen, nachdem diese Aufgabe jahrelang von Zulieferern
übernommen worden war. Verschärfte Vorschriften und steigende
Haftungsrisiken gaben hierfür den Anstoß.
Der naheliegende Gedanke: Eigene Entwicklungsprozesse
ermöglichen bessere Kontrolle, schnellere Reaktionen bei
Problemen und eine höhere Qualität. Doch die Realität sah
anders aus: Jahre der Fremdvergabe hatten zu veralteten,
unstrukturierten und oft widersprüchlichen Prozessen geführt.
Zudem wurden Hunderte Softwareentwickler zugekauft, die
wiederum nach eigenen, anderen Prozessen arbeiteten.
Ein modernes Tool zur Prozessverwaltung sollte das Chaos
beseitigen, doch es zeigte sich: Ein Tool allein reicht nicht
aus.
Die Ausgangslage: ein Prozess-Dschungel.
Eine erste Analyse im Rahmen eines Prozessverbesserungsprojekts
deckte massive Unzulänglichkeiten auf:
Zudem existierten mehrere Werkzeuge und Datenquellen für das Prozessmanagement, was die Situation zusätzlich verkomplizierte. Die Einführung eines einheitlichen Prozessmanagement-Tools schien die Lösung zu sein – doch die eigentliche Herausforderung war die Prozessmanagement-Organisation.
Was versteht man unter einer
Prozessmanagement-Organisation?
Eine
Prozessmanagement-Organisation definiert Verantwortlichkeiten
entlang von Prozessen statt entlang von Abteilungen –
Prozessverantwortliche sind für die Planung, Umsetzung und
Optimierung der Prozesse zuständig. Im Folgenden werden die
wichtigsten Rollen vorgestellt, die in einem funktionierenden
Prozessmanagementsystem üblich sind:
Prozess-Sponsor:
Prozess-Verantwortlicher:
Prozess-Eigentümer (Owner):
Prozess-Manager oder Designer:
Prozess-Architekt:
Prozess-Nutzer (Projektteams):
Engineering Process Group (EPG):
Wie sah die Realität im betreffenden Unternehmen
aus?
Auch wenn die meisten Rollen formal besetzt
waren, sah sich das Unternehmen mit typischen Problemen
konfrontiert:
Ein Tool kann Prozesse effizienter gestalten, aber es ersetzt keine funktionierende Organisationsstruktur. Oder anders gesagt: Die sinnvolle Nutzung eines Prozessmanagement-Tools setzt eine funktionierende Organisationsstruktur voraus.
Fazit: Prozessmanagement beginnt bei den
Menschen
Ein gut organisiertes Prozessmanagement
ist der Schlüssel zu erfolgreicher Prozessverbesserung. Die
Einführung eines Tools kann dabei unterstützen – aber nur, wenn
die organisatorischen Grundlagen stimmen:
Die richtigen Rollen, klare Verantwortlichkeiten und effektive Kommunikation sind entscheidend für den Erfolg eines Prozessverbesserungsprojekts. Nicht umsonst gehen derartige Projekte oft Hand in Hand mit Organizational-Change-Projekten – ein Ansatz, der hier sinnvoll gewesen wäre, aber keine Zustimmung fand.
Wie Prozesse wirklich gelebt werden: Erfolgsfaktoren für den Prozess-Rollout
In vielen Unternehmen werden Prozesse akribisch ausgearbeitet, doch nur wenige werden wirklich effektiv ausgerollt und genutzt. Oft existieren sie nur auf dem Papier, während die Mitarbeiter sie ignorieren oder als unpraktikabel empfinden. Doch woran liegt das? Eine häufige Ursache sind Versäumnisse bei der Einführung oder Verbesserung von Prozessen.
Worauf sollten Unternehmen also achten, wenn sie Prozesse gestalten wollen, die gelebt werden und Mehrwert erzielen?
Alle
relevanten Stakeholder einbeziehen
Oft werden
Prozesse von einer kleinen Gruppe definiert, ohne andere
Stakeholder einzubeziehen. Klassische Beispiele sind:
Die Folge: Anwender fühlen sich nicht
einbezogen und können oder wollen die Prozesse nicht nutzen.
Nicht abgestimmte bzw. gemeinsam erarbeitete Prozesse können
den Alltag von Nutzern tatsächlich erschweren. Im schlimmsten
Fall führt das zu einem Boykott der Prozesse.
Die Lösung: Prozesse sollten in
interdisziplinären Teams definiert werden, die alle relevanten
Stakeholder einbeziehen: Qualitätsmanagement, IT, Management,
Entwickler, Architekten und Endanwender. Nur so entstehen
Prozesse, die sowohl den Standards als auch der Praxis gerecht
werden.
Prozesse mit den Unternehmenszielen
verknüpfen
Eine gängige Praxis ist, dass Prozesse
in einzelnen Unternehmensbereichen erstellt werden, ohne die
Zustimmung und Unterstützung des Managements sicherzustellen.
Der Aufwand, den Mehrwert von Prozessen herauszuarbeiten und zu
kommunizieren, wird oft gescheut.
Die Folge: Das Management sieht Prozesse als
überflüssige Bürokratie und unterstützt sie nicht aktiv. Ohne
Rückhalt aus der Führungsebene kann eine Nichteinhaltung von
Prozessen jedoch nicht eskaliert oder durchgesetzt
werden.
Die Lösung: Prozesse müssen so definiert
werden, dass ihre Verbindung zu den Geschäftszielen klar wird.
Beispielsweise:
Je klarer diese Verbindung ist, desto einfacher wird es, das Buy-in des Managements zu erhalten – idealerweise kommen Ankündigungen zur Einführung neuer Prozesse direkt von der Unternehmensführung. Doch nicht nur das: Nur Prozesse, die sich konsequent an den Unternehmenszielen orientieren, bieten nachhaltigen Mehrwert. Richtig eingesetzt können sie als Steuerungselement dienen, das Unternehmen dabei unterstützt, flexibel auf sich ändernde Anforderungen und Situationen zu reagieren.
Schulung und Unterstützung
sicherstellen
Ein häufig unterschätzter Punkt ist
die Schulung der Prozesse und der dazugehörigen Tools. Die
Bereitstellung entsprechender Budgets wird oft gemieden.
Die Folge: Selbst wenn die Prozesse gut
definiert sind, fehlt es den Anwendern an Wissen, wie sie diese
im Arbeitsalltag anwenden sollen.
Die Lösung:
Prozesse aktiv bewerben
Viele
Prozessverantwortliche denken, dass es reicht, Prozesse zu
publizieren, damit sie genutzt werden. Doch das ist nicht der
Fall.
Die Folge: Neue Prozesse oder Prozessversionen
gehen unter, weil sie nicht ausreichend kommuniziert werden.
Mitarbeiter sind unsicher, ob sie diese anwenden sollen oder
wissen nicht einmal, dass es sie gibt.
Die Lösung: Interne Marketing-Maßnahmen
durchführen:
Feedback und kontinuierliche Verbesserung
einplanen
Prozesse sind nie perfekt. Deshalb ist
es extrem wichtig, dass Anwender ein einfaches Mittel haben,
Feedback zu geben. Leider fehlen hierfür oft die Strukturen und
Kanäle.
Die Folge: Mitarbeiter fühlen sich nicht
involviert, sehen sich als reine Prozesskonsumenten und haben
keinen Anreiz, Verbesserungen anzuregen.
Die Lösung:
Prozesse auf Projekte und Programme
zuschneiden
Viele Unternehmen nutzen generische
200%-Prozesse, die alle möglichen Anforderungen
berücksichtigen. Doch wenn nur dieser komplette Prozess
bereitgestellt wird, verlieren sich Anwender darin.
Die Folge: Mitarbeiter erkennen nicht, welche
Prozessbestandteile für ihr spezifisches Projekt relevant sind.
Der Umfang des Gesamtprozesses erschlägt die Anwender, was zur
Vernachlässigung der Prozesse führt.
Die Lösung:
Fazit: Prozess-Rollouts erfordern Strategie und
Kommunikation – und bedeuten Aufwand
Prozesse
sollten unter Beteiligung aller Stakeholder entwickelt werden.
Sie müssen mit den Unternehmenszielen verknüpft sein, um das
Buy-in des Management zu erhalten und unternehmerischen
Mehrwert zu bieten. Schulung und Kommunikation sind essenziell
für die erfolgreiche Nutzung von Prozessen. Interne
Marketing-Maßnahmen steigern die Akzeptanz und Anwendung.
Prozesse sollten auf Programme oder Projekte zugeschnitten
werden, um Anwendern die Arbeit zu erleichtern.
Werden diese Prinzipien beherzigt, haben Unternehmen eine deutlich höhere Chance, dass ihre Prozesse nicht nur veröffentlicht, sondern auch wirklich gelebt werden.
Compliance & Standardisierung – Warum regulierte Prozesse Innovation fördern statt hemmen
Innovation durch Regelkonformität? In einer zunehmend digitalisierten Welt wächst nicht nur der Bedarf an innovativen Produkten und Dienstleistungen, sondern auch die Anforderungen an Sicherheit, Qualität und gesetzliche Konformität. Unternehmen müssen sich auf eine Vielzahl von Vorschriften einstellen, um Marktzugänge zu sichern, Haftungsrisiken zu minimieren und Vertrauen aufzubauen. Besonders relevant sind Normen der Automobilindustrie wie ISO 21434 (Cybersecurity Engineering für Straßenfahrzeuge) und ISO 26262 (Funktionale Sicherheit). Mit neuen Regulierungen wie dem Cyber Resilience Act (CRA) in der EU oder ASQMS in China werden Branchengrenzen durchbrochen. Der CRA gilt branchenübergreifend für digitale Produkte und ASQMS betrachtet Softwarequalität und Prozesssicherheit im Mobilitätssektor unabhängig von Fahrzeugsystemgrenzen.
Viele empfinden diese Standards als Bürokratie oder Innovationsbremse. Tatsächlich aber zeigen Praxisbeispiele: Wer Standardisierung und Compliance strategisch nutzt, kann Innovation beschleunigen und Wettbewerbsvorteile sichern.
Standardisierung im Wandel der Zeit
Die Bedeutung standardisierter Prozesse nimmt stetig zu. Die
Ursachen dafür sind vielschichtig:
Neue Spielregeln für digitale Sicherheit
Mit dem CRA setzt die EU neue Maßstäbe: Unternehmen müssen
Sicherheit von Anfang an in ihre Entwicklungsprozesse
integrieren, Updates bereitstellen und für Sicherheitsmängel
haften. Der CRA reiht sich damit in die Linie von Normen wie
ISO 21434 oder ISO 26262 ein und verstärkt den Trend zur
verbindlichen Sicherheitskultur.
Ein holistischer Ansatz aus China
Besonders spannend ist der chinesische Standard ASQMS
(Automotive Software Quality Management Standard), der
klassische Branchengrenzen aufbricht. Anders als viele
bestehende Normen betrachtet ASQMS Softwareentwicklung im
Mobilitätssektor ganzheitlich und integriert Qualität,
Sicherheit und Agilität in einem Rahmenwerk. Durch die
Zusammenführung wesentlicher Gesichtspunkte zahlreicher
relevanter Standards (wie ISO 16949, ASPICE, UNECE-Regularien)
schafft er eine Plattform für echte Innovation – nicht trotz,
sondern wegen klar definierter Richtlinien.
Compliance als strategisches Asset
Unternehmen, die Compliance nicht als Pflicht, sondern als
strategischen Hebel verstehen, profitieren vielfach:
Wie gelingt der Wandel zur proaktiven
Compliance?
Folgende Erfolgsfaktoren zeichnen moderne Compliance-Strategien
aus:
Fazit: Standardisierung als
Innovationsmotor
Die Vorstellung, dass Regularien Innovation hemmen, ist
überholt. Richtig verstanden, bilden sie das Fundament für
nachhaltige, sichere und marktfähige Produkte. Innovation
braucht Freiheit, aber auch ein strukturiertes Umfeld.
Entwicklung findet in Iterationen statt, aus denen
kontinuierlich gelernt wird – sofern die Erkenntnisse
systematisch erfasst und ausgewertet werden. Gute Prozesse in
Verbindung mit Standards wie ISO 21434, der CRA oder der
zukunftsweisende ASQMS helfen Unternehmen, effizienter,
schneller und innovativer zu agieren und sich kontinuierlich zu
verbessern. Wer Compliance als Chance begreift, kann Zukunft
gestalten.